Lernen, auf eigenen Beinen zu stehen

In Kinderheimen wie jenem von Anenii Noi landen Kinder wie Ludmila, die durch Moldawiens soziales Netz gefallen sind. Das Projekt der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi fängt sie auf, integriert sie in die Schule und versucht sie so für ein selbstständiges Leben vorzubereiten.

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Die gelungene Integration in der Projektschule hat Ludmilas Freude am Lernen geweckt. Sie träumt davon, eines Tages Designerin zu werden.

Ludmila ist noch klein, als ihre Mutter an Tuberkulose erkrankt. Die Behörden stecken das Mädchen in ein spezialisiertes Center – für den Fall, dass die Krankheit sie auch befallen hat. Bis sie elf ist, lebt Ludmila an diesem für sie fremden Ort. Auch danach kann sie nicht nach Hause zurück, denn ihre Eltern können aus finanzieller Not nicht für sie sorgen. So kommt sie ins Kinderheim von Anenii Noi.

Gelungene Integration

Center-Leiterin Svetlana Balan erinnert sich: «Sie war sehr traurig und unglücklich, als sie zu uns kam.» Im letzten halben Jahr hat sie sich sehr verändert. «Sie hat grosse Freude fürs Lernen entwickelt und sieht wieder wie ein glückliches Kind aus.» Dazu beigetragen haben die gelungene Integration an der Schule und die Unterstützung durch Lehrpersonen sowie Klassenkameradinnen und -kameraden

«Sie hat grosse Freude fürs Lernen entwickelt und sieht wieder wie ein glückliches Kind aus.»

Svetlana Balan – Center-Leiterin
«Am ersten Schultag war ich sehr unsicher und hatte Angst, da ich die anderen Kinder nicht kannte», erinnert sich Ludmila. Sie habe sich jedoch rasch wohlgefühlt und sogar eine beste Freundin gefunden. «Cristina war mir von Anfang an am nächsten. Wir sprechen viel und unterhalten uns gerne.» Im Kinderheim hat Ludmila damit begonnen, Freundschaftsbändchen zu knüpfen. Die 13-Jährige träumt davon, eines Tages Designerin zu werden und eigene Kleider zu produzieren.

«Ich habe mich in der Schule rasch wohlgefühlt und sogar eine beste Freundin gefunden»

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Ihr Schicksal berührt und ihre Stärke beeindruckt: Natalia Balta, Länder­verantwortliche der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, mit der 13-jährigen Ludmila.

Individuelle Kompetenzen und Zusammenarbeit stärken

Das Projekt «Schuleingliederung von benachteiligten Kindern» startete 2017 und konzentriert sich in den kommenden drei Jahren verstärkt auf die Zeit nach dem Heimaustritt. «Kinder brauchen insbesondere auch in dieser Phase emotionale und soziale Unterstützung», betont Projektleiterin Cristina Coroban. Darum sei es wichtig, im Projekt ihre individuellen Kompetenzen bzw. ihre Sozialkompetenz für ein unabhängiges Leben zu verbessern.

Gleichzeitig arbeitet man darauf hin, die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure weiter zu intensivieren. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren viel getan. So hiess es zu Beginn des Projektes in den Schulen oft: «Die Kinder aus den Heimen sind nicht unsere Kinder.» Die intensiven Trainings und Workshops mit Lehrpersonen, Schulsozialarbeitenden oder den Gemeinschaften haben die Einstellung gegenüber den Kindern verändert. Heimleiterin Svetlana Balan nennt als Beispiel den Mathematiklehrer von Ludmila. Da ihr ein Schuljahr fehlt, hinkt sie in diesem Fach nach wie vor hinterher. Der Lehrer sagte gleich zu Beginn zu ihr: «Ich werde mein Bestes geben, damit du aufholen kannst.»

Vorurteile fallen

Auch die Veränderungen bei den Eltern der Mitschülerinnen und Mitschüler sind ein Erfolg der ersten, dreijährigen Projektphase. Zu Beginn wehrten sie sich gegen die Integration der Kinder aus den Kinderheimen. Jetzt kann es sein, dass die Heimkinder zu ihren Klassenkameraden nach Hause ein­geladen werden, sie zum Coiffeur gebracht werden oder man ihnen eine Pizza spendiert. Ein anderes Beispiel sind die Exkursionen, die jeweils zum Abschluss des Schuljahres stattfinden: Eltern sammeln Geld für diejenigen Kinder aus den Heimen, die es sich nicht leisten können.

«Kinder brauchen insbesondere auch nach dem Heimaustritt emotionale und soziale Unterstützung.»

Cristina Coroban – Projektleiterin
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Mit viel Geduld, Zuneigung und Herzlichkeit unterstützen die Mitarbeiterinnen des Kinderheimes von Anenii Noi die Kinder bei den Hausaufgaben.